Warum die Corona-App nicht funktionieren wird.

Sascha Wolter
3 min readMay 6, 2020

Momentan kann ich mir kaum vorstellen, dass die Corona-App als „Contact-Tracing-App“ quantitativ und qualitativ dabei hilft, die Kontakte von Infizierten erfolgreich nachzuverfolgen. Die dazu verwendete Technologie Bluetooth wird weder ausreichend effektiv verwendet noch reicht die Signalstärke für eine genaue Näherungsmessung aus.

Verbreitung und Nutzung von Bluetooth

Bluetooth ist laut der Bluetooth SIG (Bluetooth Special Interest Group) auf 100% aller neueren Mobilfunkgeräten verfügbar. Doch bei wie vielen Geräten ist Bluetooth wirklich aktiviert? Laut einer Studie haben nur rund 60% der Nutzer Bluetooth eingeschaltet — je nach Region sogar deutlich weniger. Zumal viele Nutzer hoffen, durch Deaktivierung Strom sparen zu können und so länger ohne Steckdose durch den Tag zu kommen. Außerdem erfordert die Nutzung von Bluetooth aus Sicherheitsgründen die Zustimmung des Nutzers. Kein Wunder, dass sich auf Bluetooth basierende Ortungs- und Näherungsdienste im Consumer-Bereich so gut wie gar nicht durchgesetzt haben. Oder wer nutzt privat Bluetooth® Smart Beacons bzw. einen der Verwandten wie Apple iBeacon™, Google Eddystone™ (Physical Web) usw.? An Geschäftsmodellen für das Bluetooth-Marketing (Bluespamming) https://de.wikipedia.org/wiki/Bluetooth-Marketing mangelt es nicht, aber der Anwender spielt halt nicht mit. Eine Corona-App-Pflicht und damit verbundenes Zwangs-Bluetooth könnten helfen, doch zu welchem Preis?

Technologische Herausforderungen

Sobald Bluetooth aktiviert ist und die App die Erlaubnis hat, sendet das Mobilfunkgerät regelmäßig ein Datenpaket mit einer Kennung und sucht gleichzeitig nach solchen Kennungen anderer Geräte. Doch da sich dies im ISM Frequenzband abspielt, welches zum Beispiel auch vom WLAN genutzt wird, kann es durchaus mal eng werden. Darum verwendet Bluetooth einige Regeln, um allen ein Senden zu ermöglichen. Was dazu führt, dass es — abhängig vom Verkehr im Frequenzband — eine ganz Weile dauern kann, bis man ein anderes Gerät findet. Skurril, wenn man sich an das Video von einigen wenigen ähnlich schlanken Bundeswehrsoldaten beim Test einer solchen Contact-Tracing-App erinnert. Interessant ist auch der Versuchsaufbau in diesem Test. Offensichtlich wurde nicht bedacht, dass nicht nur die Menge der Geräte, sondern auch Reflexionen des Funksignals (zum Beispiel durch Trennwände und Möbel) und dessen Dämpfung einen maßgeblichen Einfluss auf die Signalstärke (RSSI, received signal strength indicator) haben: Es macht durchaus einen Unterschied ob das Gerät vor dem Körper getragen oder in die Gesäßtasche gesteckt wird — je mehr Gewebe sich zwischen Sender und Empfänger befindet, je korpulenter der Nutzer ist, desto stärker wird das Signal gedämpft. Abgesehen von den ohnehin unterschiedlichen Signalstärken von unterschiedlichen Geräten (teils sogar abhängig vom Akkustand) variieren die Signale so stark, dass eine auf wenige Meter genaue Distanz ohne weitere Vorgaben eigentlich nicht zuverlässig zu berechnen ist. Außer wenn alle im Kreis tanzen oder man bereit ist die Streuung bei der Messung zu akzeptieren.

Wie die Corona-App doch funktionieren könnte.

Wenn also nur rund die Hälfte der Nutzer überhaupt Bluetooth aktiviert hat, davon vermutlich auch nur ein Bruchteil der Nutzer die App installieren werden und die Distanzberechnung so ungenau ist, wo ist da dann noch der Nutzen? Insbesondere wenn man sich auch mit den Gefahren beschäftigt. Darunter Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, der Privatsphäre und mögliche Bedrohungsszenarien, bei denen unbefugte diese Signale ebenfalls lesen bzw. Kennung fälschen könnten.

Soll man es dann nicht einfach lassen? Nein, denn so eine App ist ein wichtiger Baustein, um bei der Eindämmung mitzuhelfen. Selbst wenn die Daten unvollständig sind. Und es ist besser, Infektionsketten wenigstens teilweise verfolgen zu können, als gar nicht. Doch dafür ist es erforderlich, dass die App-Entwickler

  • die Bedenken der Anwender ernst nehmen,
  • sich mit den praktischen Herausforderungen beschäftigen
  • und schnell Lösungen finden,
  • die kreativ sind
  • und die dem Nutzer einen unmittelbaren Vorteil bieten.

Einfach nur einen „Bluetooth-Scanner“ bauen, reicht bei weitem nicht aus…

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Sascha Wolter

Developer, Trainer, and Speaker with Passion for Innovation, User Experience, Conversational AI (Voice and Chatbots) and the Internet of Things in all flavors.